Berichte aus Genf und Brüssel
1. Gemeinsame Tagung des "Liberal International - Human Rights Committee" (LI- HRC) und liberaler Parlamentarier in Genf am 14. und 15. Juni 2015
Das LI - HRC, das aus mehr als einem Dutzend Mitgliedern besteht, tagte am 15. Juni 2015 zusammen mit liberalen Parlamentarier aus Andorra, Libanon, Thailand, Malaysia, Georgien im „Palast der Nationen“ in Genf.
Vorsitzender des LI -HRC ist Markus Löning, der frühere Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. Zu den deutschen Mitgliedern des LI- HRC gehören neben Marina Schuster, bis 2013 Bundestagsabgeordnete der FDP, auch die DGLI- Vizepräsidentin Lilli Löbsack.
Das Treffen stand unter dem Motto:
„Advancement of Human Rights in an age of disruption“.
Während Dr. Juli Minoves, der Präsident der LI, die Bedeutung des LI-HRC hervorhob, um liberale Entscheidungsträger für Menschenrechte zu sensibilisieren, betonte Markus Löning dessen Funktion als Netzwerk für den Austausch von Ideen und Erfahrungen aus der Menschenrechtspraxis.
Hauptredner war der UN- Sonderberichterstatter für die Rechte der Flüchtlinge, Dr. Chaloka Beyani.
Er sprach über ‘Menschenrechte interner Flüchtlinge“,
insbesondere über Ursachen und Folgen der „internen Vertreibung“.
Intern Vertriebene (englisch: internally displaced people/IDP) sind Personen, die gewaltsam aus ihrer rechtmäßigen Heimat vertrieben werden. Bei ihrer Flucht überschreiten sie – im Unterschied zu Flüchtlingen – keine Staatsgrenzen, sondern sind auf der Flucht im eigenen Land. Ursachen sind bewaffnete Konflikte, gezielte Vertreibung und Gewalt gegen bestimmte ethnische und religiöse Gruppen sowie Menschenrechtsverletzungen und Naturkatastrophen. Inzwischen sind es 38 ,2 Mio. Personen, die im eigenen Land aus der Flucht sind. Sie leiden unter Hunger, Armut, und besonders dem Verlust ihrer Heimat. Hinzukommt der Mangel an Bildung, unter dem insbesondere Kinder und Heranwachsenden zu leiden haben. Die Zunahme der Zahl der „internally displaced persons“ ist auch eine Folge der wachsenden Zahl von „failing und failed states“ (zerfallende Staaten und Regierungen) in Subsahara- und Nordafrika, Südsudan, Myanmar und im Nahen Osten.
In der Debatte hoben die Abgeordneten der niederländischen Partei VVD und der Partei D66 den Aufbau und die Stärkung demokratischer Institutionen, insbesondere der Zivilgesellschaft, als entscheidend hervor, um die Probleme der Migration zu mindern. „Die Migrantenfrage ist eine der bedeutendsten Probleme in diesem Jahrhundert” so ihre übereinstimmende Meinung,
Der Europaabgeordnete der bulgarischen Partei “Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa“, Ilhan Kyuchyuk, sieht in der religiösen Vertreibung von Andersgläubigen eine der Hauptursachen für die interne Flüchtlingsfrage.
Beim anschließenden Arbeitsessen diskutierte die Gruppe über die Zukunft des LI- HRC und seine Rolle im politischen Alltag liberaler Parlamentarier.
Besonders interessant war der Bericht des südafrikanischen Abgeordneten der Oppositionspartei „Democratic Alliance” Stevens Mokagalapa.
Eines der größten Übel in Subsahara Afrika sei die politisch gewollte „Straflosigkeit“ (Impunity). Sie verhindere, dass afrikanische Politiker und Potentate wegen ihrer Verbrechen vor Gericht gestellt werden. Viele afrikanische Regierungschefs sähen es als ihre politische Verpflichtung an „to die in office“.
Er bezog sich auf ein Ereignis, an dem seine Partei entscheidend mitgewirkt hatte:
Am 14. Juni 2015 untersagte der Oberste Gerichtshof Südafrikas dem sudanesischen Staatspräsidenten Al Baschir die Wiederausreise aus Südafrika. Hintergrund war ein Auslieferungsantrag des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in Den Haag; denn gegen Al Baschir bestehen Haftbefehle wegen Völkermords und Verbrechens gegen die Menschlichkeit.
Al Baschir hielt sich zum Gipfeltreffen der Afrikanischen Union (AU) in Südafrika auf.
Pikanterweise hatte der südafrikanische Präsident, Jacob Zuma vor Beginn des Gipfels, allen Teilnehmern „Immunität“ zugesichert, obwohl Südafrika das sog. Rom-Statut ratifiziert und sich der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshof unterworfen hat. Die südafrikanische Regierung wäre also verpflichtet gewesen, Al Baschir nach Den Haag auszuliefern
Bereits am nächsten Tag, dem 15.6.2015, ordnete das Gericht in Pretoria die Verhaftung von Al Baschir an. Die Entscheidung kam jedoch zu spät; denn Al Baschir hatte bereits mithilfe der südafrikanischen Regierung Pretoria in Richtung Karthum verlassen.
Fazit: Erneut hatte Straflosigkeit über Internationales Recht gesiegt.
Bleibt nachzutragen, dass sich das LI-HRC am Nachmittag des 15. 6. 2015 dem Thema „Gewalt gegen Frauen und Mädchen’befasste. Die Präsidentin des „International Network of Liberal Women“ (INLW) (einer Mitgliedsorganisation von Liberal International), plädierte für die weltweite Umsetzung der „Istanbul-Konvention“, die in 2014 in Kraft getreten ist.
Die Istanbul -Konvention will Gewalt gegen Frauen und gegen häusliche Gewalt bekämpfen.
2. Bericht aus Brüssel
Das nächste Treffen des HRC fand am „Tag der Menschenrechte“, dem 10. Dezember 2015, im Europaparlament in Brüssel statt.
Thema war die Zukunft der sog. Schutzverantwortung „Responsibility to Protect“ (R2P oder RtoP)), die vor 10 Jahren ins Leben gerufen wurde. Neben dem Vorsitzenden des HRC, Markus Löning nahm auch der Generalsekretär der DGLI, Manfred Eisenbach, teil.
Das Prinzip der Schutzverantwortung wurde auf dem Milleniumsgipfel 2005 von allen Mitgliedsstaaten der UN angenommen. Es besagt, dass alle Staaten verpflichtet sind, ihre Bevölkerungen vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen. Bei der Umsetzung dieser Verantwortung sollen sie von der internationalen Gemeinschaft unterstützt werden. Das heißt weiter: Sollte ein Staat dieser Schutzverantwortung nicht nachkommen können oder wollen, dann geht die Responsibility to Protect auf die internationale Gemeinschaft über, die alle notwendigen präventiven, reaktiven und nachsorgenden Mittel zur Abwendung solcher Massenverbrechen zu ergreifen hat.
Soweit das Konzept.
Im März 2011 hat der Sicherheitsrat mit der Libyen-Resolution erstmalig eine militärische Intervention zum Schutz einer Zivilbevölkerung mit Verweis auf diese Schutzverantwortung beschlossen.
Während der militärische Einsatz in Libyen als Erfolg für die Wirksamkeit der Schutzverantwortung gewertet werden kann, stellt sich die Frage, warum angesichts des Vorgehens des Assad-Regimes unter Rückgriff auf die Schutzverantwortung zugunsten der Zivilbevölkerung nicht auch in Syrien interveniert wird. Voraussetzung für ein militärisches Eingreifen ist die Zustimmung im Sicherheitsrat und eine solche liegt zurzeit in weiter Ferne.
Die Diskussion mit liberalen Parlamentariern, Diplomaten, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtlern konzentrierte sich sowohl auf die wachsenden Herausforderungen als auch auf den Bedeutungsverlust des Prinzips der Schutzverantwortung in der Politik.
Jonas Claes vom US-amerikanischen Friedensinstitut sieht in der Schutzverantwortung nicht nur ein politisches Programm, sondern ein rechtliches, taktisches und moralisches Werkzeug, das jedoch nicht mit zu großen Erwartungen überfrachtet werden sollte. Die Schutzverantwortung könne nicht militärischen Interventionen gleichgesetzt werden. Sie sei mehr auf präventive Maßnahmen als auf Zwangsmittel ausgerichtet.
Der Ehrenpräsident der LI, Lord John Alderdice, hob zum Abschluss der Konferenz in Brüssel hervor: Die R2P hat die Aufgabe, alle Menschen, auf welcher Seite der Grenze sie auch leben, zu schützen. Liberale sollten zusammen mit Nichtregierungsorganisationen, Geschäftsleuten, Philanthropen u.a. ein geeignetes Frühwarnsystem etablieren. „Gerade wir Liberale haben die Verpflichtung, das Konzept der Schutzverantwortung möglichst breit zu streuen.“
Das nächste Treffen des LI-HRC findet im Juni 2016 wiederum in Genf statt.
Lilli Löbsack, Berlin, Vizepräsidentin der DGLI, Mitglied im LI-HRC, Mitglied des Bundesfachausschusses „Internationale Politik“ der FDP, Strafverteidigerin in Berlin